Montessori-Pädagogik als Friedenspädagogik
Montessori-Pädagogik als Weg zum Weltfrieden
„Friede ist für Montessori (…) keine nur politische, völkerrechtliche, ökonomische Größe o. a. m., sondern eine allumfassende anthropologische, ja kosmische Grundgegebenheit. Mit dem bloßen Begriff, der unter Frieden das Aufhören des Krieges versteht, ist nach Montessoris Überzeugung nichts gewonnen, weil solcher Frieden den nächsten Krieg immer schon in seinem Schoße trägt. Wirklicher Friede als ein Zustand der Harmonie in der ganzen Welt auf der Basis von Gerechtigkeit und Liebe ist für Montessori der eigentlich gemeinte Zustand der Normalität und Gesundheit, demgegenüber nicht nur der Krieg sondern alle Formen scheinbaren Friedens nur unterschiedliche Formen von Krankheit sind.“
(aus der Einleitung zu Maria Montessoris Buch ‚Erziehung und Frieden‘)
Frieden durch Erziehung
Für Maria Montessori und alle Montessori-Pädagog*innen gibt es nur eine erfolgversprechende und dauerhafte Begründung des Friedens in der Welt: die durch Erziehung. Diese ist angewiesen auf eine den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen entsprechende menschliche Kulturumgebung, die ihnen der Erwachsene bereiten muss, und nur er bereiten kann. Gerade in der Pädagogik Maria Montessoris gibt es dazu eine Menge an Gestaltungsraum. Beginnend mit der liebevollen Atmosphäre in Kleinkindgemeinschaften, Kinderhäusern und Schulen setzen Pädagog*innen mit ihrer Arbeit das um, was Maria Montessori den wahren Weg zum Frieden nennt.
Denn Maria Montessori sieht im ‚Kampf zwischen Erwachsenem und Kind‘ eine unüberwindbare Hürde im Weg zu einer friedvollen Gesellschaft.
Solange Erwachsene der Aufgabe verhaftet sind, Kinder ihrem Willen zu unterwerfen und sie in ihrem Potential, ihrer Intelligenz und ihrer Würde unterschätzen, oder umgekehrt, ihnen zu große, für sie unbewältigbare Freiräume einzuräumen, die sie überfordern, sieht sie den Weg zu einer friedvollen Gesellschaft blockiert.
„Hier liegt die Frage der Erziehung um Bezug auf Krieg und Frieden und nicht im kulturellen Inhalt. Man kann den Kindern von Krieg erzählen oder nicht, man kann die Menschheitsgeschichte auf die eine oder die andere Art für den Gebrauch des Kindes bearbeiten, das ändert nichts am Schicksal der Gesellschaft.“
(Maria Montessori, Frieden und Erziehung)
Was jedoch bedeutet das praktisch?
Sich Zeit nehmen, Montessori-Pädagog:in zu werden
An mehreren Stellen in ihren Veröffentlichungen weist Maria Montessori darauf hin: nicht irgendjemand soll Lehrer:in der Kinder und Jugendlichen werden, sondern nur jene, die bereit sind, sich in ihrer erwachsenen Persönlichkeit weiter zu entwickeln und dem Kind mit Liebe dienend und mit hoher Professionalität begegnen können.
„Zu wissen was wir tun müssen ist weder von grundlegender Bedeutung noch schwierig, aber zu verstehen, von welchen Annahmen und von welchen eitlen Vorurteilen wir uns freimachen müssen, um unsere Kinder erziehen zu können, ist äußerst schwierig.“
(Maria Montessori)
Auch Catherine McTamaney greift diese Thematik in ihrem Buch ‚Das Tao von Montessori‘ auf. Auf die Frage „Wie werde ich Montessorianer:in?“ gibt sie als simple und doch herausfordernde Antwort: Zeit.
Und noch eine Perspektive führt sie neben einer fundierten und angemessenen Ausbildung der Lehrer*in an: „Der einzige Mensch, der Sie lehren kann zu lehren ist das Kind vor Ihnen (…), und nur durch die Fehler, die wir machen werden wir Lehrer.“
(McTamaney, Das Tao von Montessori)
Übungen in Anmut und Höflichkeit
Mit den Übungen in Anmut und Höflichkeit gibt uns Maria Montessori ein Werkzeug in die Hand, das es uns ermöglicht, höfliches Umgehen miteinander nicht als übles Anhängsel sondern als täglich integriertes Lernfeld der Kinder (und der Erwachsenen) zu betrachten.
In einer Art Theaterstück bieten wir den Kindern im Kinderhaus Tag für Tag Möglichkeiten, Situationen zwischenmenschlicher Interaktion zu üben und zu verstehen. Damit geben wir ihnen essentielle Kompetenzen für momentanes und späteres Miteinander.
In dem Heft der ÖMG-Schriftenreihe ‚Übungen in Anmut und Höflichkeit im Kinderhaus‘ schildert Lilian Bryan, unter welchen besonderen Vorzeichen diese Übungen dazu führen, dass Kinder auf natürliche Weise frei, spontan und liebevoll sein können.
„Es macht ihnen Freude, aufmerksam, liebevoll und hilfsbereit zu sein. Wir sind uns bewusst, dass Montessori-Erziehung nicht nur akademische Fortschritte in Kindern fördert, sondern auch großen Wert auf Charakterbildung legt. In einer liebevollen, friedlichen Umgebung können Kinder einen Weg zum Frieden anbahnen und eine neue Menschheit gestalten. Mit Hilfe dieser Kinder können wir die Hoffnung für eine friedliche Welt hegen.“ (Lilian Bryan, Übungen in Anmut und Höflichkeit im Kinderhaus).
In unserem Darbietungsmoduel „Die Übungen des praktischen Lebens“ erklären wir dir den Ablauf ganz genau.
Gestaltete Umgebung
„Das ist die Aufgabe der Erziehung. Vereinigen wir also unsere Kräfte, um eine Umgebung zu errichten, die dem Kind und dem Jugendlichen erlaubt, individuell unabhängig zu leben und so das Ziel zu erreichen, zu dem wir alle streben: die Entfaltung der Persönlichkeit, die Gestaltung der Super-Natur und eine bessere Gesellschaft.“ (Maria Montessori, Frieden und Erziehung)
Doch nicht nur die Umgebung im materiellen Sinn ist hier gemeint. Auch die Erwachsenen gehören zu der Vorbereiteten Umgebung, die Kinder und Jugendliche brauchen.
Dabei geht es dann auch um Fragen des eigenen Verhaltens und der eigenen Sprache sowie der Haltung der Erwachsenen zueinander. Erinnern wir uns an den Absorbierenden Geist in den ersten Lebensjahren – er nimmt auf ohne zu ordnen, ohne gut oder böse unterscheiden zu können und integriert Eindrücke in das Werden der Persönlichkeit junger Kinder.
Kosmische Erziehung
Die Kosmische Erziehung als Konzept für die 6 -12 Jährigen trägt den Begriff des Friedens als Grundlage in sich. Montessori geht es bei der Kosmischen Erziehung um ein „umfassendes Erziehungskonzept, in dem es ihr um die Stellung des Menschen im Kosmos und in der Gesellschaft (…), um das Verständnis des Menschen für die Interdependenzen der Phänomene der Natur und der Kultur sowie um die Verantwortung, die sich aus dieser Einsicht für jedes Individuum ergibt.“ (Ela Eckart, Maria und Mario Montessoris Kosmische Erziehung. Vision und Konkretion. S. 18)
Jugendliche Gesellschaft erleben lassen
„Die Jugendlichen können keine sozialen Erfahrungen sammeln, denn gegenwärtig müssen sie ihre gesamte Zeit dem Studium widmen. Damit der Jugendliche soziale Erfahrungen sammeln kann, muss ihm die Gesellschaft eine geeignete Umgebung (…) schaffen, wo er praktisch all das erproben kann, was tatsächlich die Gesellschaft betrifft.“ (Maria Montessori, Erziehung zum Frieden)
Maria Montessori zeigt damit bereits 1939 bei einem Vortrag in Amersfoort, wie wichtig es ist, im Jugendalter nicht nur den Geist, sondern auch die soziale Kompetenz und das Handwerk in gleichem Maß entfalten zu dürfen. Verbunden mit echter Verantwortung erleben die Jugendlichen, dass ihr Dasein in der Gesellschaft mit positivem Sinn verknüpft ist. Das dadurch entwickelte Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen sind solide Bausteine der menschlichen Persönlichkeit und des Miteinanders voll gegenseitigem Respekt.
„Entweder trägt Erziehung zu einer Bewegung universeller Befreiung bei, indem sie den Weg zeigt, die Menschlichkeit zu verteidigen und zu vermehren,
oder sie wird wie eines dieser Organe, die geschrumpft sind, weil sie während der Entwicklung des Organismus nicht benutzt wurden.“
(Maria Montessori)